„Hinsehen und NOCH EINMAL genau hinsehen …

und beschreibend bleiben … bis zu einem Handlungsimpuls“ bezeichnet den Ursprung allen Reinholdschen ‚philosophieren‘.

Hinsehen tut doch jeder! So kommentieren konformistische Laien und Profis diesen ‚GrundSatz‘. Beide machen aus den sachdienlichen Hinweisen ‚hinsehen‘ und ‚beschreibend bleiben‘ marginale Floskeln. D. h. sie gehen davon aus, bereits hinlaenglich zu wissen, wovon hier die Rede ist. Im Rahmen der Praxis des herrschenden Wissensverstaendnisses interpretieren sie ‚hinsehen‘ mit ‚beobachten‘ und ‚beschreiben‘ mit ‚erklaeren‘: Sie sind daran gewoehnt, Wissen bzw. Wissenschaft ideen- bzw. theoriegeleitet aufzufassen und praktizieren diesen aus ihrer Sicht einzig möglichen Sachverhalt ganz selbstverstaendlich. (Vgl. u. a.  Rudolf Lochner: Deutsche Erziehungswissenschaft. Meisenheim am Glan 1963, 1-38.) Das was sich dem zeigt, der hinsieht, dient lediglich der Korrektur von Ideen und Theorien.

Anders bei RR: „Hinsehen und NOCH EINMAL genau hinsehen …  und beschreibend bleiben … “  ist Ursprung des ‚philosophieren‘ (RR: ‚GrundSatz‘). Die daraus entspringende Philosophie als auch der Philosoph bzw. die Philosophin sind ’skeptisch‘, wenn ’skeptisch‘ als ‚bezogen auf Zutreffendes‘ interpretiert wird. RR’s  Sprachgebrauch ‚hinsehen‘ orientiert sich an dem Gebrauch des altgriechischen ‚Verbs sképtesthai‚ »schauen, spaehen; betrachten«, das mit ’spaehen‘ urverwandt ist.‘ (Vgl. Duden – Das Herkunftswoerterbuch. Etymologie der deutschen Sprache , 3. Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zuerich: Dudenverlag 2006.) In dieser Hinsicht verweist der ‚GrundSatz‘ auf die Mitbedeutung ’sehen‘, ‚forschen‘, ‚untersuchen’… usw.

RR unterscheidet ferner ‚hinsehen‘ von ‚erkennen‘ und redet vom ‚Handlungsimpuls‘, wo traditionelle Philosophen von ‚Handlungstheorien‘ sprechen. ‚Handlungsimpuls‘ verweist bei RR auf den Kontext neurophysiologische ‚Plastizitaet‘ und deren steuernde Funktion fuer Entscheidungen (Vgl. RR ’neuronale Grundfunktionen) . Dieses naturwissenschaftliche Forschungsgebiet als Basis liegt philosophisch noch weitgehend brach. ‚hinsehen tut doch jeder‘ fungiert eher als Schutzschild vor moeglichen Infragestellungen geisteswissenschaftlicher bzw. metaphysischer Auffassungen. Laien und Profis signalisieren damit, wie sehr sie in erworbenen Vorstellungen feststecken, an die sie von Kindesbeinen an gewoehnt worden sind. ‚Sie sehen nicht, was sie nicht sehen.‘ (Heinz von Foerster) und  ‚Erfahrung macht blind ‚ sind die dazu passenden Rätsel, deren Lösungen weltweit ausstehen.

Sie sollten sich fuer diese Unterscheidungen z. B. folgenden Rahmen vorstellen, wenn Sie sich mit dem ‚philosophieren‘ von RR vertraut machen moechten: ‚hinsehen‘ unterscheidet sich von ‚erkennen‘ so wie im Maerchen ‚Des Koenigs neue Kleider‘ (Hans Christian Andersen) das Verhalten des Kindes von dem der Erwachsenen. Die Erwachsenen – gewoehnt an fragloses ‚uebernehmen‘ von Sichten anderer – applaudieren gehorsam dem neuen (Kleider-)Staat ihres Koenigs. Einzig ein – noch weitgehend unverbildetes – Kind ruft aus:„Aber er hat doch gar nichts an!“

‚hinsehen‘ im Sinne von RR heisst ‚verzichten‘ auf das, was Erziehung und Bildung Menschen als Wissen lehren. Lehren bzw. Belehrungen sind Interpretationen, die im Rahmen eines bestimmten Weltbildes gueltig sind. Sie zu kennen, ist wichtig, um mit anderen klar zu kommen. Es entspricht z. B. einem christlichen Weltbild die Menschen in ‚gute‘ und ‚boese‘ einzuteilen. Kinder christlich gepraegter Eltern werden von letzteren an alltaeglichen Beispielen ihres eigenen ‚handeln‘ und dem anderer, an biblischen und weiteren geeigneten Erzaehlungen darueber ‚aufgeklaert‘, was sie darunter zu verstehen haben. Schliesslich werden sie mit Hilfe dieser Erklaerungen beim Hinsehen auf eigenes und fremdes Verhalten immer sicherer darin, ‚gut‘ von ‚boese‘ zu unterscheiden. Es hat sich eingebuergert,  dieses Zusammenfuegen von Erklaerungen und Gesehenem bzw. Gefuehltem als ‚erkennen‘ zu bezeichnen. Der Erkennungswert von Bekanntem gibt Sicherheit. Menschen halten deshalb daran fest. Professionelle Philosophen sprechen hier von ’synthetischen Urteilen‘ (z. B. Kant in seiner ‚Kritik der reinen Vernunft‘), die mit Notwendigkeit gefaellt werden.  Schliesslich ‚wissen‘ Kinder dann, was ‚gut‘ und ‚boese‘ ist. Daran orientieren sie sich als Erwachsene. Damit verzichten sie – ohne es selber entschieden zu haben – darauf, andere Sichtweisen gleichwertig in ihr Weltbild zu integrieren. Das Verhalten der Erwachsenen in Andersens Maerchen illustriert, mit welchen Folgen man dann rechnen muss: Menschen sehen das, was es nicht gibt bzw. geben vor, das zu sehen, was alle behaupten zu sehen. In unserer Geschichte gibt es viele Beispiele fuer aehnliche Folgen.

RR: „… Hinsehen und NOCH EINMAL genau hinsehen … und beschreibend bleiben … bis zu einem Handlungsimpuls“ Das ist etwas so einfaches, zumindest in seinem ersten Teil ‚hinsehen‘, dass jeder Mensch mit ein klein wenig Anleitung und Uebung den zweiten Teil ‚beschreibend bleiben bis …‘ jederzeit selber vollziehen kann …  so er moechte.

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handelnd philosophieren



Die unter „Basisannahmen seiner Pragmatik“ knapp geschilderten Annahmen Rolf Reinholds beschreiben einen Zusammenhang zwischen ‚denken‘ und ‚handeln‘, in dem es Anknuepfungspunkte zu pragmatischen Philosophen – wie z.B. John Dewey – gibt.

‚experience-philosophie‘

Dewey ging philosophierend von ‚experience‘ (‚Erfahrung‘) aus, d.h. er pruefte konzeptionelle Ueberlegungen daran, wie sie zu konkreten Beobachtungen passten. Die Kohaerenz dieser Ueberlegungen wurde erst danach in den Blick genommen. „… the conceptions of reasoning have only a secondary interest in comparison with the reality of facts, since they must be confronted with concrete observations.“ (The Later Works of John Dewey, 1925-1953 Bd.2, S. l3. Dewey-Forschungsstelle Uni Koeln)  Im Rahmen dieses unsystematischen Ansatzes machten sich traditionelle erkenntnistheoretische Probleme und Fragen nach dem Wesen von Geist, Sein, Vernunft, Wahrheit … ueberfluessig, weil es vor allem darum ging, ‚experience‘ und ‚thinking‘ zusammen so zu begreifen, dass Menschen daraus Anregungen fuer ihr handeln erhalten konnten. (Vgl. Stefan Neubert : John Dewey und der Amerikanische Pragmatismus. Eine Online-Veroeffentlichung der Universitaet Koeln.) Im Hinblick darauf, dass ‚handeln‘ stets unter zufaelligen Bedingungen geschieht, gab es nur eine vermutete bzw. wahrscheinliche Wirksamkeit von ‚handeln‘. Denn konzeptionelle Ueberlegungen waren Schlussfolgerungen aus ‚experience‘ und nicht Schlussfolgerungen aus ‚ewigen Normen‘. Handlungsleitende Aussagen fasste Dewey als probabilistische Normen auf. Sie wurden durch jedes neue ‚handeln‘ ueberprueft und waren also grundsaetzlich revidierbar. Das, was fuer alle, die miteinander handelten Geltung beanspruchte, sollte im offenen Dialog jeweils gemeinsam immer wieder entschieden werden. (Vgl. Armin Scherb : John Deweys „Democracy and Educa­tion“. Ein tragfaehiges Erziehungskonzept in der „Postmoderne“? In: Paedagogische Rundschau, 54 (2000) 1, S. 23-34. )

‚organisch‘ handelnd ‚philosophieren‘

Auch die Rolf Reinhold Philosophie „AxioTentaO“ ist im Rahmen von ‚experience‘ anzusiedeln. Sie entstand organisch beim ‚handeln‘ Rolf Reinholds. Konsequent bezeichnet er sie ausschlieszlich als seine Philosophie und nur fuer ihn geltend. Seine verallgemeinernden konzeptionellen Aussagen und Basisannahmen sind Angebote. Jeder wird gebeten zu ueberpruefen, inwieweit sie fuer zutreffend und funktional gehalten werden koennen. Auch bei ihm verfluechtigten sich „ewige Normen“, Wesenheiten wie Geist, Seele, Gott, Vernunft, … angesichts von ‚handeln‘. Er bezeichnet seine Schlussfolgerungen als seine Behauptungen bzw. Annahmen, die jederzeit revidierbar sind. Auch fuer ihn ist der gemeinsame Dialog fuer gemeinsames ‚handeln‘ unverzichtbar, um sich auf Basisannahmen zu verstaendigen. Basisannahmen zu finden und Kriterien zu entwickeln, wie diese begruendet hergeleitet werden koennen, ist fuer Rolf Reinhold die Aufgabe professioneller Philosophen. Einige Anregungen dazu finden sich im Artikel „Philosophie aus Erleben“.

‚dynamisch philosophieren‘

Philosophen bei denen ‚philosophieren‘ von konkretem menschlichen ‚handeln‘ aus beginnt, sind offensichtbar nicht in der Lage ein vollstaendiges philosophisches System zu entwerfen. Das liegt vermutlich nicht an mangelnder Bereitschaft oder an der Unfaehigkeit dieser Philosophen, sondern der Verzicht auf ein Denkgebaeude ergibt sich aus der Sache und aus ihrem Anliegen. Wenn Philosophen den Menschen in den Mittelpunkt stellen – wie dies auch David Hume tat – scheinen sie ins Uferlose zu geraten. Humes dreibaendiger „Treatise“ und die Vielzahl seiner Aufsaetze, einschlieszlich seines historischen Werkes, duerften ein Hinweis darauf sein. Rolf Reinhold vergleicht die Totalität seiner aus ‚handeln‘ gewonnenen Schlussfolgerungen, Basisannahmen und Konzepte gern mit der riesigen Wiese – wie sie sich hinter seinem Haus erstreckt – auf der tausende und abertausende von Grashalmen wachsen. Sie koennen als Repraesentanten fuer Schlussfolgerungen, Ueberlegungen, Problemloesungen, Konzepte und Rahmen gelten, die selbst er nicht auf einmal umfassend betrachten kann. Untersucht ein Forschender Einzelnes duerfte er es fuer sich nur dann klar kriegen koennen, wenn er es in Konstellationen und Zusammenhaengen zu anderem sehen kann, das in der Naehe liegt und viele weitere und auch weitlaeufige bzw. weit entfernte Anknuepfungen hat.

Auch fuer Deweys ‚philosophieren‘ duerfte Vergleichbares zutreffen. “ Dewey …hat in einem langen und ereignisreichen Leben ein Werk geschaffen, das in der amerikanischen Gesamtausgabe 37 Baende von zum Teil weit ueber 400 Seiten umfasst. In dieser beeindruckenden und auf den ersten Blick ueberwaeltigenden Ansammlung von Texten entdeckt der Leser, je tiefer er sich einarbeitet, eine auszerordentliche Fuelle von Themen und Gedanken, …“ (Neubert, ebd. S.54) Diese Fuelle duerfte verwirren, wenn man sich ihr mit systematischen Erwartungen und anderen einschraenkenden Vorannahmen naehert.

’normabweichend philosophieren‘

Organisch-dynamische Philosophen werden von systematischen Philosophen argwoehnisch betrachtet. Kant und mit ihm andere haben diesen Parameter „System“ ausdruecklich als Kennzeichen eines kompetenten Philosophierens betrachtet. Heinz von Foerster hat dieses Systematisieren, das mit konsequentem ‚zerlegen‘ (analysieren) einhergeht, als mögliche Schwaeche unseres Wissenschaftsverstaendnisses bezeichnet und sich fuer ’synthetisieren‘ also eines in Zusammenhaengen sich bewegenden ‚philosophieren‘ ausgesprochen. Philosophie, die von ‚handeln‘ ausgeht, duerfte diesem wissenschaftlichen Merkmal entsprechen. Sie hat den Nachteil, dass sie vieles bisher Gueltige auf den Kopf und Selbstverstaendlichkeiten in Frage stellt. (Vgl. Heinz von Foersters Vortrag im Juni 1994 an der Universitaet Frankfurt am Main ueber: Bewusstsein, Gedaechtnis, Sprache, Magie und andere unbegreifliche Alltaeglichkeiten. Auf einer im Koelner supposé-Verlag veroeffentlichten CD mit dem Titel „2 x 2 = gruen“ nachzuhoeren.)